Kapitel.23
Rebeccas Herz klopfte hart gegen ihre Rippen, als der Fahrstuhl begann sich nach unten zu bewegen.
Neben ihr stand Chris. Sein Ausdruck war schwer zu deuten. Er schien zwischen Abscheu, Wut und Nervosität hin und her gerissen zu sein. Er traute Wesker nicht über den Weg, er hasste den ehemaligen Captain. Trotzdem musste er sich im Moment auf dessen Hilfe und Unterstützung verlassen. Das behagte Redfield nicht. Abgesehen davon, waren sie alle angespannt, wegen dem was noch vor ihnen lag: Die Konfrontation mit Alex Wesker.
Außer dem ehemaligen Captain, hatte keiner eine Ahnung was genau sie erwartete.
Aber auch Albert schien unruhig zu sein, wenn auch weit weniger als der Rest der Truppe.
Eine seltsame Zusammenstellung, dachte Rebecca im Stillen.
Keiner traute dem anderen. Chambers traute Chris und er vermutlich auch ihr, aber sie beide trauten Marsters und deren Begleitung nicht.
Wesker und Zoe, erging es andersherum wohl sicherlich ähnlich, mutmaßte Rebecca in Gedanken.
Der Aufzug stoppte.
Rebeccas Herz machte einen unangenehmen Sprung, welchen sie bis in den Hals hinauf zu spüren schien.
Die Tür des Lifts glitt auf.
Niemand stand davor und erwartete sie, niemand schoss auf sie oder griff die kleine Gruppe auf sonst irgendeine Weise an.
Albert trat als Erster aus der Kabine hinaus, Zoe hielt sich dicht bei ihm.
Chambers warf Chris einen unsicheren Blick zu.
„Bleib einfach dicht hinter mir“, sagte er ihr mit leiser Stimme und verließ ebenfalls den Fahrstuhl.
Eilig folgte die kleine S.T.A.R.S Rekrutin ihm.
Sie fanden sich in einem großen Raum mit hoher Decke wieder.
Der Raum war kaum beleuchtet, die Lichter waren zerstört worden. Unter den Sohlen ihrer Schuhe, knirschte das Glas einiger Deckenlampen.
Es gab einige Computer, viele Monitore, die meisten von ihnen waren schwarz, aber nicht alle. Die Bildschirme waren im Moment die einzige Lichtquelle und tauchten die Räumlichkeiten in einer unheimliches Zwielicht.
Rebecca versuchte um die Scherben herum zu gehen, wollte so wenig Geräusche wie möglich machen. Aber das zersplitterte Glas schien praktisch überall zu sein.
„Was ist hier passiert?“, fragte sie flüsternd.
„Ich bin nicht ganz sicher, aber es sieht ein wenig danach aus, als hätte meine kleine Schwester einen Wutanfall gehabt“, entgegnete ihr Albert mit ruhiger Stimme.
Ein Papierkorb war umgekippt worden, der Inhalt zwischen den Scherben auf dem Fußboden verteilt. Ebenso einzelne Tasten einer Tastatur, der Rest davon hing noch an einem Kabel und baumelte an einem Schreibtisch herunter. Ein umgekippter Bürostuhl. Zwei umgekippte Regale, noch mehr Scherben. Zwei zerschlagene Monitore. Ein umgekippter Stuhl dem ein Bein abgebrochen war. Ein dunkler Fleck an der Wand, auf dem Boden darunter die Scherben einer Tasse.
Alles in allem sah die Szene aus, als sei hier gekämpft worden, oder als hätte sich jemand ordentlich abreagiert.
„Sie ist hitzig und jähzornig. Wenn sie mitbekommen hat das wir ihr auf der Spur sind, hat sie vermutlich die Beherrschung verloren“, ergänzte Wesker nach einem prüfenden Blick auf die Gegebenheiten.
„Wo ist sie hin?“, hakte Chris verärgert nach.
„Sie ist noch irgendwo hier. Ich kann ihre Angst wittern“
„Angst?“, fragte Rebecca ungläubig.
„Sie ist allein hier unten und sie wusste das wir kommen“, merkte Zoe schadenfroh an.
„Sie mag nicht so sein wie ich, aber du solltest sie dennoch nicht unterschätzen“, warnte Albert sie.
„Du solltest auf ihn hören“, kam eine kalte Frauenstimme aus einer dunklen Ecke.
Langsam trat eine Frau in das kühle Zwielicht.
Sie war blond, schlank. Ihre eisblauen Augen schienen regelrecht fiebrig zu leuchten.
Die Ähnlichkeit war durchaus vorhanden, wenn auch nicht so sehr wie erwartet. Die Augen waren es, die den Ausschlag gaben.
Zoe erkannte diese Augen wieder. Vor dem Zwischenfall im Herrenhaus, hatte Albert die gleichen Augen gehabt.
Auf Alex Weskers blutroten Lippen lag ein kaltes Lächeln. Sie hielt etwas in einer Hand. Zoe konnte es nicht sofort erkennen. Die schlanken Finger von Alberts Schwester, hatten sich um einen länglichen Gegenstand geschlossen der aussah wie ein Kugelschreiber, als hinge ihr Leben davon ab.
Sie ging ein paar Schritte auf und ab, ließ dabei die Vier nicht aus den Augen.
Als Chris zu ihr wollte, hielt Wesker ihn zurück.
„Nicht kopflos handeln“, mahnte der ehemalige Captain.
Chris riss seinen Arm los und zischte: „Fass mich gefälligst nicht an!“
„Siehst du das was sie in der Hand hält?“, erhob Albert seine Stimme, als Chris weiterlaufen wollte.
Unwillig stoppte Redfield und blickte auf Alex Hand.
„Ich wette du hast keine Ahnung was das ist“, murrte Albert und klang beinahe amüsiert.
Die Blondine blieb stehen und fixierte Chris mit einem kalten, entschlossenen Blick.
„Komm ruhig her Bursche. Ich habe eine Überraschung für dich“
In der anderen Hand hielt Alex einen weiteren Gegenstand den sie zuvor nicht bemerkt hatten. Ein kleines, flaches Ding.
Sie hielt es in Redfield Richtung und drückte darauf, als sei es eine Fernbedienung.
Ein leises Surren war zu hören, kurz darauf schrie Chris markerschütternd auf und fiel zu Boden.
Er krümmte sich vor Schmerz, verdrehte die Augen.
Rebecca eilte an seine Seite.
Zoe brauchte einen Moment bis sie realisierte was passiert war.
Die Schiene hatte sich umgeklappt während sie noch fest mit Chris Bein verbunden war und ihm das gebrochene Bein ein weiteres Mal gebrochen. Der Knochen war durch Haut und Fleisch gestoßen. Blut breitete sich auf dem Boden aus.
Plötzlich war es still, nur Chambers schluchzte ganz leise, kaum hörbar.
Redfield war bewusstlos.
„Eine kleine Absicherung die ich in seine Gehhilfe eingebaut habe“, erklärte Alex mit ruhiger, kühler Stimme.
„Hinterlistig wie immer“, murrte Wesker gleichmütig.
Seine Schwester lächelte und nickte.
„Ich fasse das als Kompliment auf“
Zoe blickte fassungslos von einem zum anderen.
Albert wusste was das in ihrer Hand war, der längliche Gegenstand an den sich seine Schwester so verbissen klammerte. Oder besser gesagt, er ahnte es.
Es handelte sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um das Gegenmittel, welches sie als Druckmittel benutzen würde, wenn sie die Gelegenheit bekam.
Als hätte Alex seine Gedanken gelesen, fiel ihr Blick auf Zoes Handgelenk.
„Das Armband ist rot...“ stellte sie verblüfft fest „Seit wann?“
„Schon eine ganze Weile“, gab Albert zurück.
Aufmerksam musterte die Blondine mit den eisblauen Augen die Frau an seiner Seite. Sie wirkte regelrecht fasziniert.
„Ich wusste nicht das es Menschen gibt die immun gegen mein Virus sein würden. Aber das ist ganz offensichtlich der Fall, sonst wärst du bereits tot oder mutiert“
Für einen Moment kaute sie auf der roten Unterlippe, dann sagte sie: „Rakshasa ist wohl doch nicht so zuverlässig wie ich dachte. Oder... du bist etwas besonderes. Eine extrem seltene Ausnahme“
Plötzlich lächelte sie.
„Sehr wahrscheinlich bist du eine Ausnahme, vor dir hat noch keiner Rakshasa widerstanden. Was mich zu meinem nächsten Anliegen führt“
Sie hob ihre Hand mit der Phiole in die Höhe die sie noch immer fest umschlossen hielt.
„Als ich gesehen habe das ihr auf dem Weg seid, habe ich alle Proben und Unterlagen für das Gegenmittel vernichtet. Es gibt nur noch diese eine Probe“
Im Stillen fluchte Albert, manchmal hasste er es richtig zu liegen.
„Ich verhandle nicht mit denen“, sagte sie und deutete auf Rebecca und Chris „Die können mir nicht gefährlich werden.“
Ihr Blick wanderte zu Wesker: „Du aber schon Bruderherz“
„Schön das du dir dessen bewusst bist“, erwiderte er trocken.
Alex lächelte unbeirrt.
„Die Wahrscheinlichkeit das du immun bist, ist praktisch gleich Null. Eine Probe mit deinem Blut hat mir das bewiesen. Also, solltest du jemals die Nerven verlieren....“
Ihr Lächeln wurde breiter.
„Du könntest jetzt versuchen mir die Phiole gewaltsam abzunehmen, aber bedenke, sie ist aus Glas, ich werde mich wehren. Dein Heilmittel könnte dabei ganz leicht zu Bruch gehen, Albert“
Der ehemalige Captain schwieg. Er war sich sicher, sie hatte noch mehr zu sagen.
„Für gewöhnlich müsstest du dir wohl keine Sorgen machen. Du der kühle, soziopathische, berechnende Wissenschaftler und Soldat“, begann sie hämisch „Aber die Dinge haben sich geändert nicht wahr? Du bist sehr wohl verwundbar, körperlich vielleicht nicht so leicht, aber es gibt verschiedene Formen von Schmerz und Angst“
Automatisch schob Albert Zoe hinter sich.
„Albert...“ sagte sie zaghaft, doch er gebot ihr mit einer einfachen Handbewegung zu schweigen.
Alex lachte leise.
„Du hast es also begriffen, ich bin stolz auf dich, großer Bruder. Aber ich bin nicht die einzige Gefahr die ihr droht. Was glaubst du wohl woher ich weiß wo ihr beide wart, wo ich nach euch suchen musste?“
„Trent“, knurrte Wesker säuerlich.
„Korrekt. Selbst wenn ihr es schafft mich zu beseitigen, Trent wird hinter euch her sein, wie der Teufel hinter der armen Seele. Er wird alles tun um dich zu brechen. Was glaubst du was er alles mit deiner Zoe anstellen wird um dich aus der Reserve zu locken? Bist du sicher das du sie vor ihm beschützen kannst? Ich wäre mir da ganz und gar nicht sicher“
Rebecca hantierte hektisch an Chris herum, aber niemand achtete auf sie. Sie versuchte die Blutung zu stoppen, hörte nicht mal mit halbem Ohr dem Gesprochenen zu.
So viel Blut...
Chambers hatte weder Verbandsmaterial noch sonst irgendwas, als so riss sie einen Ärmel von ihrer Uniform und versuchte das Bein abzubinden.
Er wird verbluten...
Redfield reagierte nicht mal als sie versuchte den Knochen zu richten oder als sie das Bein abband. Eigentlich müsste er brüllen vor Schmerz, aber er war in tiefster Bewusstlosigkeit und nach der Menge an Blut die er verloren hatte, schon verdammt nahe an der Schwelle zum Tod.
Im Grunde wusste Rebecca das sie ihm nicht helfen konnte. Es war egal was sie tat und trotzdem kümmerte sie sich um ihn, beinahe mechanisch.
Sie stand unter Schock, ihr Unterbewusstsein zwang sie dazu zu funktionieren, etwas zu tun auch wenn es keinen Sinn hatte.
Das Gefühl das sich in ihrem Brustkorb breit machte, war seltsam taub und leer.
Als sie für einen Moment aufblickte, sah sie das Zoe halb hinter dem Captain stand und zu ihr herunter blickte.
Doch ihre Aufmerksamkeit wurde wieder auf Chris gelenkt als sie etwas warmes, feuchtes an den Knien spürte.
Die Blutlache unter Chris Bein breitete sich aus. Chambers kniete in seinem Blut. Beim Bruch hatte der Knochen offenbar eine Arterie aufgerissen.
„Was willst du?“ fragte Albert mit rauer, wütender Stimme.
Alex lächelte unbeirrt.
„Freies Geleit. Ich will diesen Ort verlassen ohne das du mich behelligst“, antwortete sie ihm.
„Das kannst du vergessen“, brummte er.
„Wenn du mich ziehen lässt, werde ich dir die Phiole hinterlegen. Ich werde Kontakt zu dir aufnehmen und dir sagen wo sie ist. Wenn du auf mich losgehst, zerstöre ich die Probe“
Albert setzte ein gehässiges Lächeln auf.
„Du weißt wie schnell ich bin, vermutlich habe ich dir die Phiole entwendet bevor du überhaupt realisieren kannst das etwas schief gelaufen ist“
Alex funkelte ihn an. Das kalte, selbstsichere Lächeln war verschwunden.
„Warum hast du es dann nicht schon längst getan, Bruder? Ich sage dir warum. Du bist dir nicht sicher das du es schaffst ohne das die Phiole zu Bruch geht“, raunte die Blondine.
„Völlig egal wie du dich entscheidest, beide Optionen sind nicht sehr rosig. Wenn du sie gehen lässt wirst du vermutlich nie wieder etwas von ihr hören und wenn du sie angreifst könnte die Probe wirklich dabei zu schaden kommen“, murmelte Zoe hinter Wesker.
„Ich weiß“ gab er ruhig zurück.
Ihre Aufmerksamkeit wurde auf den Fahrstuhl gelenkt, als dieser sich schloss und nach oben fuhr.
„Erwartest du noch andere Gäste?“, fragte Albert seine Schwester trocken.
Alex selbstsicheres Lächeln war zurück.
„Ja, allerdings. Sieht so aus als würde sich das Blatt nun endgültig zu meinen Gunsten wenden“
Albert runzelte verärgert die Stirn.
„Geh irgendwo in Deckung, so das du vom Fahrstuhl aus nicht zu sehen bist“, raunte er Zoe über seine Schulter hinweg zu.
„Was ist mit dir?“, fragte sie leise.
„Geh jetzt“, knurrte er drängend.
Alex sah wie Zoe sich zurückzog und lachte gehässig.
„Du kannst hier nicht raus, es gibt nur diesen einen Zugang“
Wesker fixierte seine Schwester mit seinem rotglühenden Blick.
„Das muss sie auch nicht. Sie muss nur in Deckung bleiben bis ich hier aufgeräumt habe“, sagte er mit rauer, tiefer Stimme.
„Überschätze dich lieber nicht“
Mit diesen Worten seiner Schwester, öffnete sich der Fahrstuhl.
Zwölf Soldaten bewegten sich schnell und gezielt, mit erhobenen Waffen in den Raum hinein.
Eine von Trents Spezialeinheiten, schätzte Albert.